Berlin (dpa) - Unter dem Eindruck von wachsendem Rechtspopulismus in Europa, des Brexits und Provokationen von US-Präsident Donald Trump rufen Deutschland und Frankreich die EU dringend zu mehr Zusammenhalt auf.
«Wir sehen, dass sich die globalen Rahmenbedingungen dramatisch und schnell ändern», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen mit Frankreichs Staatschef François Hollande im Kanzleramt. Die Europäische Union stehe vor großen internen und externen Herausforderungen, «die wir nur gemeinsam meistern können», mahnte Merkel.
In Trauer vereint legten beide am Berliner Breitscheidplatz, dem Ort des islamistischen Lastwagen-Anschlags vom 19. Dezember mit zwölf Toten, weiße Rosen nieder. Hollande sagte mit Blick auf Merkels Solidarität nach den Terroranschlägen von Paris und Nizza: «Wenn Frankreich angegriffen wurde, stand Angela Merkel an meiner Seite» - auch moralisch, politisch und menschlich. Merkel sagte, Frankreich und Deutschland ließen sich ihre Art zu leben nicht nehmen.
Merkel erwähnte bei ihrem Auftritt mit Hollande im Kanzleramt weder Trump noch dessen Abkehr vom Freihandel. Sie sagte aber, die 27 EU-Staaten (ohne Großbritannien, das aussteigen will) müssten den freien Handel und die freiheitliche Gesellschaft verteidigen und die ökonomischen Herausforderungen meistern. Sie warnte vor Abschottung: «Europäische Lösungen sind allemal besser als nationale.» An diesem Samstag will Trump nach US-Angaben mit Merkel telefonieren.
Hollande sprach von einem «Anstieg von Extremisten, die die äußeren Bedingungen nutzen, um innerhalb unserer Länder für Unordnung zu sorgen.» Von der US-Regierung gingen Herausforderungen etwa für Handelsregeln und Konfliktlösungen aus - darüber müsse mit Trump gesprochen werden. Merkel forderte ein klares, gemeinsames Bekenntnis zur EU, «zu dem, was wir erreicht haben, und zu dem, was unsere liberalen Demokratien ausmachen.» Jeder Mitgliedstaat müsse wissen, «dass damit Verantwortung und Pflichten verbunden sind».
Es sei auch allen bewusst, dass der Brexit der Briten einen tiefen Einschnitt für die Entwicklung der EU bedeuten werde, sagte Merkel. «Um so wichtiger ist das Bekenntnis, dass (..) die 27 Mitgliedstaaten zusammenstehen und gemeinsam und ambitioniert für die Herausforderungen und ihre Bewältigungen arbeiten.» Während Merkel mit Hollande in Berlin auftrat, traf sich die britische Premierministerin Theresa May als erste Regierungschefin überhaupt mit Trump in Washington.
Viel Zeit bleibt Merkel und Hollande nicht mehr für die gemeinsame Arbeit am deutsch-französischen Verhältnis und dem Zusammenhalt der EU. Hollande tritt bei der Präsidentschaftswahl im April und Mai nicht mehr an.
Konkret bereiteten die beiden nach Regierungsangaben die EU-Gipfel am 3. Februar auf Malta zu Migrationspolitik und Brexit sowie im März in Rom anlässlich des 60. Jahrestags der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor. Am 25. März 1957 hatten die Regierungen Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs die Römischen Verträge unterzeichnet. Sie gelten als Geburtsurkunde der EU und die sechs Länder als Gründerstaaten.
Die Beziehung von Hollande und Merkel war nicht immer spannungsfrei. Merkel war von Anfang an skeptisch, ob Hollande seine früheren Wahlkampf-Versprechen zu sozialen Reformen als Präsident finanzieren und damit auch einhalten kann. Früh hatte sie Sorge vor Unruhe in Frankreich, was die Regierung und damit auch die deutsch-französische Durchsetzungskraft in der EU schwächen könnte. Dennoch schätzen sich beide, heißt es. Merkel hält Hollande für verlässlich und dieser sagt über die Kanzlerin: «Sie weiß, was sie will.»
Ihre größte gemeinsame Errungenschaft war wohl ihr Einsatz für den Frieden in der Ukraine, als sie in einer langen Nacht in Minsk Fortschritte mit Russlands Staatschef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko erzielten.
Doch dieser Frieden ist bis heute brüchig. Merkel empfängt Poroschenko erneut an diesem Montag im Kanzleramt. Bei den Verhandlungen um den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei hatte sich Hollande hingegen rar gemacht. Bis heute gibt es keine Solidarität in der EU, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft