Freitag

Verstörende Akte von Selbstjustiz der Politik - Ein Kommentar von Frank Elbe zur Skripal-Affäre

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Der Giftanschlag von Salisbury ist ein scheußliches Verbrechen. Wer immer dieses infame Attentat zu verantworten hat, verdient die Verachtung der Weltgemeinschaft. Die umgehende Aufklärung der Tat ist geboten. Eine Rücksichtnahme auf den möglichen Täter kann es nicht geben.

von Botschafter a.D. Frank Elbe

Wo Aufklärung geboten ist, lässt sich die westliche Welt jedoch zu verstörenden Akten politischer Selbstjustiz hinreißen. Sie verhängt bereits Strafen über einen mutmaßlichen Delinquenten, ohne sich überhaupt seiner Täterschaft sicher sein zu können. Alle Finger zeigen auf Russland, zum Teil auf Putin persönlich. Sollte es sich als richtig erweisen, wäre dies der Super-GAU in den Beziehungen zu Russland mit schwerwiegenden Folgen für die künftige sicherheitspolitische Ausrichtung Europas.

Die Leidenschaft, mit der die westliche Welt Solidarität mit Großbritannien bekundet, ist bereits im Bereich des Irrationalen zu verorten. Sie übertüncht einen Mangel an Aufklärungsbereitschaft. Schlimmer noch: Sie will uns glauben machen, dass Abstimmungsprozesse in EU und NATO an Stelle von Beweisen treten können. Das läuft auf eine Bevormundung des Bürgers hinaus. Sein Recht auf Meinungsbildung zu elementaren, ja existentiellen Entwicklungen zukünftiger Sicherheit verdient mehr Respekt. Er hat Anspruch auf plausible Informationen.

Graf Lambsdorff, mit dessen öffentlichen Stellungnahmen zu Sanktionen ich gelegentlich nicht übereinstimme, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ausgeführt, dass er sich nicht wirklich vorstellen könne, dass 24 Staaten der Welt sich entscheiden, russische Agenten auszuweisen, wenn die Beweise, die Großbritannien vorlegt, nicht stichhaltig sind. Damit wird sich der mündige Bürger nicht abfinden.

Zu den wenigen öffentlich bekannten Dokumenten, auf die sich die britische Regierung beruft, um Russland als verantwortlich für den Anschlag zu brandmarken, gehört das Urteil des Royal Court of Justice vom 22. März 2018.

Nun enthält das Londoner Urteil gerade keinen Hinweis auf eine russische Täterschaft, wie die britische Regierung glauben machen will. Es beschränkt sich auf die Feststellung, dass es sich bei dem Gift "um eine Nowitschok-Substanz oder um eine eng verwandte Substanz handelt". Das heißt, dass das Gift nicht genau identifiziert wurde. Es ist keine Rede davon, dass das Gift in der Sowjetunion hergestellt wurde.

In den 80er-Jahren war ich in der Genfer Abrüstungskonferenz Verhandler an dem Abkommen über die Ächtung chemischer Waffen; ich war auch Vorsitzender des Unterausschusses für Verifikation. Ich kann nicht nachvollziehen, wie aus der Analyse eines Nervengiftes zwingend auf die Täterschaft eines Anschlags geschlossen werden kann.

Es gibt drei Reihen von tödlichen Nervengasen: Sarin, VX und Nowitschok – letzteres wurde in den 70ern in der früheren Sowjetunion entwickelt. Sarin wurde zufällig 1939 von dem deutschen Chemiker Schrader bei der Erforschung eines Pflanzenschutzmittels entdeckt. Die Strukturformeln der Gifte sind weitgehend bekannt, sogar im Internet zugänglich.

Die Vorräte von Nowitschok wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf Bitten der usbekischen Regierung durch amerikanische Chemiewaffenspezialisten entsorgt. Bemerkenswert ist, dass Nowitschok als Nervengift zwar lange einschlägig bekannt war, in der Folgezeit in Russland, in den USA und in England auch weiter erforscht wurde, aber nicht im Chemiewaffenabkommen deklariert wurde.

Der britische Experte Julian Perry Robinson äußerte 2003 die Vermutung, dass diese Geheimniskrämerei weniger mit der Angst vor Terroristen - für die der Umgang mit dem Gift ohnehin zu gefährlich wäre - zu tun habe als mit dem Schutz des Chemiewaffenabkommens und einer geheimen Verständigung von Russland und den USA.

Als supertoxisch-lethale chemische Substanz ist Nowitschok offensichtlich auf eine lange Wanderschaft gegangen. Das erschwert den Nachweis einer Verstrickung Russlands in den Giftgasanschlag in England erheblich, trägt aber auch nicht zur Entlastung Russlands bei.

Bis zur Klärung weiterer Fakten ist politische Zurückhaltung mit Schuldzuweisungen und Strafmaßnahmen geboten. Sie ergibt sich aus dem Respekt vor unserem eigenen Wertesystem, nach dem die Verhängung von Strafen ohne ausreichende Feststellung der Schuld unzulässig ist. Aus Artikel 26 (1) des Grundgesetzes leitet sich ein für jedermann unmittelbar geltendes Gebot ab, Handlungen zu unterlassen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören.

Unberechtigte Verdächtigungen fallen unter dieses Verbot. Die Ausweisung von nachrichtendienstlichem Personal ist zwar keine Verletzung des Völkerrechts, hat aber in dieser Situation den Charakter eines unfreundlichen Aktes, der als friedensstörende Handlung nach Art. 26 (1) GG verfassungswidrig wäre.

Die aktuelle Situation ist brandgefährlich, weil sie den Keim zum Bruch normaler Beziehungen zu Russland und damit zum Kollaps der nach dem Fall der Berliner Mauer geschaffenen europäischen Neuordnung in sich trägt. Manche Staaten des Westens sehnen sich nach einer Ausgrenzung Russlands. Das kann kein Ziel der Deutschen sein.

London als "City of Lies" - Warum Deutschland den Briten im Fall Skripal nicht folgen sollte

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Die Ergebnisse der Untersuchung zum Fall Skripal stehen noch aus. Dennoch werden die westlichen Töne gegenüber Russland immer schriller. Dabei gibt es sehr gute Gründe, den Briten in diesem Fall nicht zu folgen. Ein Kommentar von Willy Wimmer.

von Willy Wimmer

Der Westen dreht an der Eskalationsschraube. Russland ist in einer Art und Weise gefordert, wie wir es sogar während des ersten Kalten Krieges nicht erlebt haben. Die Menschen in Europa sind eigentlich auf Zusammenarbeit aus. Sie wollen nach Jahrzehnten der westlichen Kriegszüge endlich einmal Frieden und keinesfalls den nächsten Großkonflikt. Deshalb ist die Frage berechtigt, als was der "Blitz" aus London wahrgenommen wird, wenigsten bei denen, die in den Staaten der Europäischen Union leben?

Die Frage ist zu beantworten, wenn man sich die westliche Politik gegenüber Russland seit dem Regierungs-Revirement Genscher/Kinkel im Frühjahr 1992 ansieht. Bis zu diesem Zeitpunkt war in Europa Zusammenarbeit mit Russland auf der Basis der gegen Ende des ersten Kalten Krieges vereinbarten Regeln über das "gemeinsame Haus Europa" angesagt. Dazu zählte vor allem die "Charta von Paris" aus dem November 1990. Mit dieser Charta sollte die konstruktive Phase der Zusammenarbeit in Europa eingeläutet und der Krieg endgültig aus Europa verbannt werden. Das war nicht im angelsächsischen Interesse, wie sich ab diesem Zeitpunkt in dem Bemühen der US-dominierten NATO zeigte, sich an die Westgrenze der Russischen Föderation vorzuschieben.

Es ist der neue Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten Donald Trump, Herr John Bolton, der als Architekt der neuen Frontbildung gegenüber Russland angesprochen werden muss. Auf der berüchtigten Konferenz in Bratislava im Mai 2000 war es John Bolton, der die anwesenden hochrangigen Vertreter aus Mittel-und Osteuropa über das neue amerikanische Konzept der Spaltung Europas in Kenntnis setze. Danach ging es nicht mehr um Zusammenarbeit, sondern Teilung und einen "Ost-Limes", der zwischen Riga und Odessa quer über den Kontinent geschaffen werden sollte, um Russland aus Europa hinauszudrängen.

Neu war und ist dieses Konzept nicht, wie George Friedman von der US-Denkfabrik "Stratfor", und nicht nur er, vor Jahr und Tag verlautbaren liess. Es geht darum, Voraussetzungen auf dem Kontinent im amerikanischen Interesse zu schaffen, nach denen eine Zusammenarbeit im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Deutschland und Russland unmöglich wird. Die Angelsachsen brauchen einen europäischen Brückenkopf, an dem sich latent die Konflikte entzünden lassen. Seit dem Auftauchen westlicher Interventionstruppen im russischen Bürgerkrieg nach 1918 lässt sich dieses Konzept verfolgen, das unter Herrn John Bolton fröhliche Urstände feierte.

Und das Land von Theresa "Bond". Großbritannien lässt sich gerne als das "Mutterland der Demokratie" bezeichnen, zu deren Markenzeichen auch bei ungeschriebener Verfassung der "Rechtsstaat" zählt. Daran legt Theresa "Bond" derzeit die Axt an. Ohne einen schlüssigen Beweis, auf den die internationale Öffentlichkeit allein schon wegen der Dimension der Vorwürfe einen nicht zu diskutierenden Anspruch hat, werden kriegsvorbereitende Vorwürfe gegen ein europäisches Nachbarland, Russland eben, erhoben. Getreu der angelsächsischen Grundregel, dass alles erlaubt ist, wenn die USA und Großbritannien ihre Interessen verfolgen. Jeder, der auf sein Recht und seine Position demgegenüber beharrt, erklärt sich im Sinne einer "Selbstverpflichtung" zum Feind. Da ist für Recht und Völkerrecht kein Platz, und die britische Premierministerin mit ihrem unglaublichen Außenminister B. J. verhält sich entsprechend.

Es ist schockierend und friedensgefährdend, wie sich die deutsche Bundesregierung verhält. Großbritannien hat den Anspruch auf "Bündnissolidarität" nur, wenn es sich an die weltweit anerkannten Regeln hält, und die verlangt nun einmal "Beweise". Die Schweiz, die sich in immer stärkerem Maße an ihre alte Rolle der "streitschlichtenden Großmacht" erinnert, macht Berlin geradezu vor, auf was es jetzt ankommt: Aufklärung eines Kriminalfalls in Großbritannien und Beweise. Sonst geht gar nichts.

Statt London wegen andauernder kriegstreibender Aktivitäten in den Arm zu fallen, dackelt Frau Dr. Merkel als Kanzlerin hinter der britischen Premierministerin her. Als hätte uns seit dem verbrecherischen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien die kriegstreibenden Kräfte nicht schon in genug Kriege hineingelogen. Millionen Menschen wurden Opfer der westlichen Kriegszüge, inklusive der fadenscheinigen Begründungen, die aus dem Handbuch des britischen Imperialismus, Militarismus und Kolonialismus nicht nur des 19. Jahrhunderts stammen. London als "City of lies".

Montag

Wahlergebnisse Russland: Über 67 Prozent Wahlbeteiligung, 76,77 Prozent für Putin

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Um 9 Uhr Moskauer Zeit wurden 99,83 Prozent der Stimmen ausgezählt. Die Wahlbeteiligung lag bei über 67 Prozent. Dies gab die Vorsitzende der Zentralen russischen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, bekannt. Wladimir Putin erhielt die absolute Mehrheit der Stimmen mit 76,77 Prozent.

Wladimir Putin, amtierender russischer Präsident, erhielt in den Präsidentschaftswahlen vom 18. März die Mehrheit der Stimmen. Nachdem die Wahlergebnisse aus 99,5 Prozent der Wahllokale ausgezählt wurden, stimmten 76,77 Prozent der Bürger der russischen Föderation für Putin. Die Wahlen wurden von 474.500 Wahlbeobachtern und 10.500 Journalisten begleitet. Darunter befanden sich 1.513 ausländische Wahlbeobachter aus 115 Ländern, so Ella Pamfilowa. Die anderen fünf Gegenkandidaten Putins erhielten kaum über zwei Prozent der Stimmen. Zu Berichten der Wahlmanipulation und Unregelmäßigkeiten sagte Pamifolova, dass es nur "geringfügige und regionale Beschwerden" gab. 

Samstag

Die Menschen, die heute Russland beschuldigen

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Es ist die intellektuelle und politische anglo-sächsische Elite.

Diese Personen äußern die Bereitschaft, die Wahrheit und nur die Wahrheit zu sagen.

Entschuldigen, aber ich glaube ihnen nicht!

Donnerstag

Die dumme Provokation

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Bewerten Sie das Foto von der Stelle der Anwendung "des Neulings" — darauf zwei grüner Clowns in den Taucheranzügen des höchsten Bioschutzes, mit dem geschlossenen Zyklus. Noch zwei weiße Clowns einfach in Schutzsatz und die Respiratoren. Und drei englische Feuerwehrmanne einfach in den Helmen, mit den stumpfen Fratzen. Und was ihnen wird — sie stehen hinter dem weißen-blauen Band.

England wird geschändet. Die dumme Provokation. Theresa May arbeitet auf den Kreml. Anders als solche Dummheit zu erklären.

Es wäre lächerlich, wenn nicht so traurig ist.

Mittwoch

Skripal-Vergiftung: Großbritannien setzt sich über Chemiewaffenkonvention hinweg

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London hat den politischen Konflikt mit Russland eskalieren lassen. Die Chemiewaffenkonvention sieht vor, dass Zweifelsfälle zunächst bilateral ausgetragen werden müssen. Dagegen beschuldigt Großbritannien Russland faktenfrei und zieht unbeteiligte Staaten in Mitleidenschaft.

von Wladislaw Sankin

Rechtswege in Fällen mit Russland-Bezug? Bei London Fehlanzeige. Das Ultimatum an Moskau und die darauffolgenden einseitigen Sanktionen gegen Moskau sind nicht nur ein diplomatischer Affront, der Staaten schnell an den Rande eines Krieges bringen kann. Auch rein juristisch ist Mays Verhalten rechtswidrig. Dabei verletzt sie die Konvention ebenjener Organisation, deren Unterstützung sie in ihrem Angriff auf Russland auf ihrer Seite zu haben glaubt.

Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sieht vor, dass Staaten im Falle des Verdachts auf einen Chemiewaffeneinsatz alle Angelegenheiten zunächst im transparenten Austausch aller notwendigen Informationen klären sollen. Wenn eine unmittelbare Konsultation zwischen den Vertragsstaaten untereinander nicht möglich sein sollte, müsste in einem für einen der Vertragsstaaten besorgniserregenden Fall dieser eine Anfrage an einen anderen Vertragsstaat stellen. Dann hat jener zehn Tage Zeit, um seinerseits "ausreichende Informationen" zu liefern, besagt die Chemiewaffenkonvention im Artikel IX.

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Doch ebendies hat London nicht getan. Wüste Beschuldigungen, zunächst von Außenminister Boris Johnson, dann von Premierministerin Theresa May, und Hysterie in der Presse – all das dürfte der Vertragsstaat Russland in der größtmöglichen medialen Aufmachung wie auch die gesamte Weltöffentlichkeit mitverfolgen. Aber natürlich war das keine offizielle Anfrage, geschweige denn die Möglichkeit einer Proben-Gegenanalyse.

Großbritannien verletzt de facto die Chemiewaffenkonvention, laut der es dem verdächtigten Land notwendige objektive Daten übergeben sollte, darunter auch Proben der verdächtigen Substanz. Danach müsste die russische Seite auf diesen Verdacht binnen zehn Tagen reagieren. Stattdessen wählte London leider die Sprache der Ultimaten. Ich kann sofort sagen, dass Ultimaten gegenüber Russland nicht funktionieren", sagte der russische Botschafter bei der EU-Kommission Wladimir Tschischow.

Ein solches Verhalten ist verantwortungslos und rechtswidrig. Das bestätigte die Rede von Theresa May aufs Neue. Sie lastete Russland – ohne jeglichen Aufklärungsversuch! – den illegalen Einsatz von C-Waffen an: Zum ersten Mal in der Geschichte wurde Russland des Chemiewaffeneinsatzes beschuldigt, ohne Ermittlungsverfahren und ohne jegliche Beteiligung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

Vor dem historischen Hintergrund, dass die mit Großbritannien eng verbündeten USA im Korea- und im Vietnamkrieg chemische Massenvernichtungswaffen eingesetzt und dass beide Staaten dem Irak vor 1990 beim Aufbau des Chemiewaffenprogramms geholfen haben, ist diese Anschuldigung beispiellos in ihrer Dreistigkeit.

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Da die Zusammenarbeit der OPCW mit Russland offenbar gut funktioniert, lässt London die internationale Behörde außen vor. "Die Reputation Russlands im Bereich der Nichtverbreitung von Chemiewaffen ist sehr hoch", sagt der russische Chemiewafаenexperte Anton Utkin, der als Inspekteur im Jahre 1994 als Inspekteur im Irak mitwirkte und einer der führenden Spezialisten für Vernichtung von Chemiewaffen ist.

Russland habe niemals C-Waffen eingesetzt und sei seit 1985 in diversen Gremien aktiv, die die Nichtverbreitung von C-Waffen weltweit kontrollieren. Bereits im Jahr 1987 habe die UdSSR, die damals im Besitz der größten Chemiewaffenbestände war, angekündigt, ihr Chemiewaffenprogramm einstellen zu wollen.

Im Jahre 1997 hatte Russland ein Chemiewaffenarsenal von 40.000 Tonnen, die USA gab verfügten zu diesem Zeitpunkt über 28.500 Tonnen. Im Zuge des Programms zur Vernichtung von C-Waffen hat Russland im Herbst 2017 vorzeitig seine letzten Bestände vernichtet. Der geplante Termin der US-Amerikaner liegt im Jahr 2023.

Nun aber hat Großbritannien die Beziehungen zu Russland an den Rand eines vollständigen Bruchs gebracht. Das macht die vom Vorsitzenden der oppositionellen Labour-Partei Jeremy Corbin in derselben Debatte im britischen Parlament am Dienstag angemahnte Kooperation mit Russland bei der Kontrolle chemischer Waffen umso schwieriger. Aber darum geht es dem offiziellen London in Wirklichkeit nicht.

"Für Briten ist Skripal ein sakrales Opfer" – Ex-FSB-Chef zur Vergiftung des Doppelagenten Skripal

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Die Vergiftung des ehemaligen GRU-Obersts Sergej Skripal nützt den USA, Großbritannien und der Ukraine, sagt der ehemalige FSB-Chef Nikolai Kowaljow. Der Gedanke, Russland habe Skripal töten wollen, sei dagegen "Irrsinn". Dafür müssten die Russen "Schwachköpfe" sein.

Der Leiter des Föderalen Sicherheitsdienstes, Oberst Nikolai Kowaljow, im Jahr 1996. Er leitete die Sicherheitsbehörde von 1996 bis 1998 und war damit der Vorgänger Wladimir Putins, der im Jahr 1998 das Amt kurzzeitig übernahm. Zurzeit ist Kowaljow Duma-Abgeordneter und in mehreren Gremien aktiv.

Der Geheimdienst-Profi und Vorgänger Wladimir Putins in dessen kurzfristig ausgeübtem Amt als FSB-Direktor, General Nikolai Kowaljow, äußerte sich gegenüber russischen Medien ausführlich zu dem Vorfall um die mutmaßliche Vergiftung des ehemaligen Doppelagenten Sergei Skripal. In erster Linie warf er die Frage nach dem Motiv für so ein Verbrechen auf. Ein solches sei aufseiten des russischen Staates nicht zu erkennen.

Im Gegenteil, der Anschlag bringe Russland einen "absoluten Schaden" und verschaffe denjenigen Staaten Vorteile, die Russland als "Aggressor" darstellen wollen. Die Nutznießer seien in diesem Fall die USA, England und indirekt auch die Ukraine.

Mehr zum Thema -  Skripal: Britische Medien und Politiker beschuldigen Russland (Video)

 

Ich persönlich habe angesichts dieser ganzen Reihe an Mordfällen an Verrätern (Russlands) auf englischem Territorium den Eindruck gewonnen - und das ist meine Version -, dass Engländer, wenn der Nutzen dieser Leute ausgeschöpft ist, sie diese sozusagen als Sakralopfer darbringen. Und dann sagen sie, es sei Russland gewesen", so Kowaljow.

Er habe deswegen das Gefühl, dass englische Geheimdienste damit etwas zu tun haben könnten. Leute wie Skripal seien, wie es im journalistischem Jargon heißt, "unter der Glocke", die Behörden kontrollieren sie, wissen, wo sie sich befinden, kennen ihren Tagesablauf - und dann passieren jedes Mal solche seltsamen Dinge, so der General.

Dass die Engländer nun jedoch ohne jegliche Ermittlung behaupten, Russland stecke dahinter, sei einfach "Wahnsinn":

14 Jahre zu warten, um Skripal ausgerechnet am Vorabend der Wahl des Präsidenten der Russischen Föderation zu ermorden und Russland so einen maximalen Schaden zuzufügen? Damit nach der britischen und amerikanischen Vorlage die ganze Welt schreit, Russland sei in einen politischen Mord verwickelt? Dafür müsste man ein absoluter Schwachkopf und einfach nur wahnsinnig sein", so Kowaljow.  

Mehrere Zeugen zweifeln an der offiziellen Version

Ähnlich fallen die Schätzungen anderer Amtsträger und Experten aus. Von "Quatsch, Hysterie, Delirium oder Zirkus" ist dann die Rede. Es gibt auch Stimmen auf der anderen Seite der "Frontlinie", die an der Plausibilität des Verdachts gegen die Russen zweifeln. So sagte ein in London lebender Exil-Russe Waleri Morosow, der Sergej Skripal persönlich kannte, gegenüber dem Spiegel, es sei unwahrscheinlich, dass der russische Staat etwas mit dem Fall zu tun habe:

Ich glaube nicht, dass der Kreml oder Wladimir Putin dahintersteckt. Die Täter profitieren von einer günstigen weltpolitischen Lage: Wenn in Großbritannien etwas in dieser Art geschieht, wird direkt Putin verantwortlich gemacht. In dieser Hinsicht ist Großbritannien der Himmel für Kriminelle aus Russland. Und von denen gibt es hier viele.

Zudem sei es bei den Geheimdiensten unüblich, "bei solchen Anschlägen" auch Unbeteiligte, erst recht Kinder, zu töten. Das entspreche nicht der Vorgehensweise der russischen Geheimdienste, in deren Milieu Morosow nach eigenen Angaben nach wie vor zahlreiche Kontakte hätte.

Nun ist aber die Tochter mitvergiftet worden", so Morosow.   

Außerdem sei Skripal für russische Behörden nicht interessant gewesen, er hätte mit ihnen während seiner Verhaftung kooperiert und hätte sogar in der russischen Botschaft mehrere Bekanntschaften gepflegt, behauptete Morosow. Mit dem Austausch und der Überführung nach Großbritannien sei der Fall für den russischen Geheimdienst erledigt gewesen.

Gemeinsam mit Skripal wurde damals der Agent Igor Sutjagin begnadigt, der ebenfalls nach Großbritannien ausreiste. Befragt zu dem aktuellen Vorfall erklärte dieser:

Falls es eine Vergeltungsmaßnahme gegen Skripal war, ist unklar, warum sie erfolgte", sagte Sutjagin zu Radio Swoboda.

Skripal habe schließlich gestanden, sei begnadigt worden und habe einen Teil seiner Strafe abgesessen. "Ich sehe keinen Grund für Rache gegen ihn", erklärte Sutjagin - auch wenn es in Russland durchaus "spezielle Dienste" gebe, die "Verräter liquidieren", schrieb die Tagesschau.  

Johnson: Russland wird für seine Boshaftigkeit büßen

Aber genau diese Frage - "Wem nutzt es?" - wird in den britischen Medien nicht gestellt. Stillschweigend wird angenommen, dass Russland nur aufgrund seiner "Boshaftigkeit", wie es der britische Außenminister formulierte, den Ex-Agenten, der in den 1990er Jahren agiert habe, samt seiner Tochter auf so aufwendige und höchst riskante Art und Weise liquidieren musste.

Boris Johnson, ermutigt durch Solidaritätsbekundungen vonseiten der EU, der NATO, der USA und Frankreichs, will schon am morgigen Donnerstag eine Reihe neuer Strafmaßnahmen gegen Russland verkünden. Er habe auch mit seinem Kollegen Sigmar Gabriel gesprochen, meldete dpa. Johnson lobte die Bereitschaft der "Freunde" Großbritanniens, Solidarität zu zeigen. Insbesondere der mittlerweile aus seinem Amt geschiedene US-Außenminister Rex Tillerson soll nach Angaben von Johnson Russland für dessen "verstörendes und bösartiges Verhalten und die leichtsinnige Nutzung der chemischen Waffen - in Syrien ebenso wie auf den Straßen von Salisbury -" scharf verurteilt haben.  

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Nach Angaben Johnsons bleibt Großbritannien bei seinem am Montag von der britischen Premierministerin Theresa May verkündeten Ultimatum: Russland müsse sich bis Mitternacht gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) erklären. "Die Antwort Großbritanniens" werde auf jeden Fall kommen, drohte Johnson am Mittwoch an.

Über die möglichen Maßnahmen wird in den britischen Medien viel spekuliert. So hält die Zeitung The Timeseine Cyberattacke auf den Kreml für möglich. Eine andere Option könnte die Ausweisung von Diplomaten sein. Auch finanzielle Maßnahmen gegen Oligarchen aus dem Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Immobilienbesitz in London seien denkbar. May hat bisher damit gedroht, keine Regierungsvertreter zur Fußball-WM nach Russland zu schicken.

Samstag

Putin: US-Rückzug aus ABM-Vertrag hat neuen Rüstungswettlauf ausgelöst

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Russlands Präsident Wladimir Putin wies Vorwürfe zurück, er habe mit der Vorstellung der neuen russischen Nuklear-Abschreckung das Wettrüsten wiederbelebt. Zu NBC meinte Putin, US-Präsident G.W. Bush hätte dies mit dem Ausstieg aus dem ABM-Vertrag bewirkt.

US-Präsident George W. Bush und der russische Präsident Wladimir Putin geben eine gemeinsame Presse-Konferenz am 6. April 2008 in Putins Residenz Botscharow Rutschej bei Sotschi.

In einem Interview mit NBCs "Megyn Kelly Today" am Donnerstag ist das russische Staatsoberhaupt Behauptungen der westlichen Medien entgegengetreten, er habe mit der Vorstellung neuer atombetriebener Raketen, darunter auch der hypersonischen "Sarmat", das Signal für ein neues Wettrüsten gesetzt. Die alarmierende Rhetorik, die nun durch viele westliche Nachrichtenagenturen gehe, sei nur eine weitere Form der Propaganda, sagte Putin.

Mein Standpunkt ist, dass die Personen, die sagen, dass ein neuer Kalter Krieg begonnen hat, nicht wirklich Analytiker sind, sie machen Propaganda", sagte er NBC.

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Putin beschuldigte Washington, bereits im Jahr 2002 den ABM-Vertrag von 1972 verworfen zu haben. Der Rückzug aus dem Vertrag sei der wahre Grund für eine eskalierende Konfrontationsspirale:

Wenn wir von einem Rüstungswettlauf sprechen, dann begann dieser genau an diesem Punkt.

Erst Rückzug aus ABM-Vertrag, dann Einkreisung

Es war in der Tat der damalige US-Präsident George W. Bush, der sich aus dem ABM-Vertrag zurückzog, der zuvor eine der Hauptsäulen der Entspannungspolitik gewesen war und über fast 30 Jahre eingehalten wurde. Bush argumentierte, dass der Vertrag die Fähigkeit der USA behindere, sich vor "zukünftigen Terroristen oder Angriffen vonseiten der Schurkenstaaten" zu schützen.

In den folgenden Jahren haben die USA Russland mit ihren Raketenabwehranlagen umzingelt, ihren Raketenschutzschild auf Rumänien und Polen ausgedehnt und erstmals auch eine Batterie des Patriot-Langstrecken-Flugabwehrsystems nach Litauen verlegt.

Der nukleare Aufbau der USA vor der Haustür Russlands veranlasste Moskau dazu, seine neuesten Iskander-Systeme in seiner Exklave Kaliningrad zu stationieren, um dadurch der Bedrohung durch den angriffsfähigen US-Raketenschild in Polen und Rumänien zu begegnen.

Der Weg, der zur Konfrontation führte, hätte vermieden werden können, wenn die USA sich bereit erklärt hätten, bei der Entwicklung der Raketenabwehr mit Russland zusammenzuarbeiten - ein Angebot, das von Moskau immer wieder erweitert wurde", sagte Putin.

Putin hält Angebot zur Zusammenarbeit aufrecht

Da Washington dies wiederholt abgelehnt hätte, könne er nicht untätig sitzen, so Putin.Der russische Präsident fuhr fort, dass er nach wie vor der Meinung sei, dass sich die beiden Länder auf das konzentrieren sollten, was sie gemeinsam tun können. Er erwähnte den Kampf gegen gemeinsame Herausforderungen für die Sicherheit wie den Terrorismus.

Anstatt sich gegenseitig zu bedrohen, sollten Großmächte ihre Kräfte bündeln, um sich vor Terroristen zu schützen", sagte er der US-Journalistin.

In seiner Rede vor der Föderalen Versammlung sprach Putin am Donnerstag auch ausführlich über die faktische Aufkündigung des INF-Vertrages vonseiten der USA. Es seien die Vereinigten Staaten, die in diesem Jahr in Polen entsprechende Anlagen stationieren wollen und den INF-Vertrag von 1987 über das Verbot landgestützter Kurz- und Mittelstreckenraketen unterlaufen. Er habe zudem bereits 2004 die neuen russischen Waffen angekündigt und damit auf den Verhandlungstisch gelegt, erklärte Putin. Im Westen habe ihm jedoch keiner geglaubt und Gespräche wurden in weiterer Folge verweigert.

Am Donnerstag kam die Antwort, die viele Kommentatoren bereits als "zweite Münchner Rede" bezeichnen. Ob sich daraus, wie von Moskau angeboten, Abrüstungsverhandlungen ergeben, hängt nun vom Westen ab.

Meinung

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr: Die Berichterstattung der Lage in Syrien ist von Einseitigkeit und Interessen geprägt. Das verhindert Aufklärung und vermittelt lediglich Teilansichten eines komplexen Konflikts. Ein Kommentar von Karin Leukefeld.

von Karin Leukefeld

Mitglieder der so genannten Weißen Helme besichtigen die Schäden an einer römischen Ruinenstätte in Daraa, Syrien, am 23. Dezember 2017.

Bei einem Vortrag über Syrien berichtete ich einmal über die Arbeit der Versöhnungskomitees. Von Anfang an hatte die syrische Gesellschaft in eigener Initiative versucht, die Gewalteskalation im Land zu stoppen. Viele Persönlichkeiten, die sich für die Versöhnung zwischen Armee und bewaffneten Gruppen in Syrien eingesetzt hatten, bezahlten ihr Engagement mit dem Leben. Andere übernahmen die Arbeit der Getöteten. Es entstand ein Ministerium für die nationale Versöhnung und 2015 griff Russland die Initiative auf und unterstützte die Suche nach Frieden und Versöhnung mit einem "Russischen Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien" - mit großem Erfolg.

Während ich bei der besagten Veranstaltung Beispiele der Versöhnungsarbeit in Syrien erläuterte, sprang ein Zuhörer auf und rief laut in den Saal: "Sie lügen! Sie haben sich das ausgedacht! Ich habe noch nie irgendwo in den Medien darüber gehört!"

Tatsächlich ist über die Versöhnungsarbeit in Syrien in deutschen Mainstreammedien kaum berichtet worden. Auch Angriffe der so genannten Rebellen auf die zivile Infrastruktur wie die Strom- und Wasserversorgung wurden kaum erwähnt. Es gab keine Schlagzeilen darüber, dass 2014/15 die "moderaten Rebellen" im Osten von Aleppo die Wasserversorgung Dutzende Male stoppten.

Und als die Fijeh-Quelle bei Damaskus kurz vor Weihnachten 2016 von bewaffneten Gruppen besetzt wurde, um die syrische Regierung dazu zu erpressen, sich den Forderungen der Kampfgruppen in den östlichen Vororten von Damaskus (Ghuta) zu fügen, schoben deutsche Medien mindestens indirekt die Schuld dafür dem "Assad-Regime" zu. Wollte man alles auflisten, was in den vergangenen sieben Jahren über den Krieg in Syrien nicht oder einseitig dargestellt wurde, wäre die Liste lang.

Nicht überprüft, trotzdem gesendet

Die Darstellung des Geschehens in Syrien ist ausgewählt und geprägt von wiederholten, kampagnenartigen Medienhypes. Bestimmte Meldungen werden aufgebauscht und übertrieben und selbst wenn ein Nachrichtensprecher sagt, dass man das Gemeldete "nicht unabhängig überprüfen" könne, wird es trotzdem gemeldet. Die Öffentlichkeit wird beeinflusst, Stimmung wird geschürt, auf diese Weise will man Strafmaßnahmen gegen Syrien, von der politischen Isolation über Sanktionen bis hin zu militärischen Angriffen vorbereiten.

Karin Leukefeld während einer Veranstaltung zu Syrien im Friko in Berlin am 4. März 2018.

In Zeiten des Internets und so genannter Sozialer Medien geschieht das innerhalb kürzester Zeit und je öfter diese "Hypes" sich wiederholen, desto mehr setzen sie sich in den Köpfen der Öffentlichkeit fest. Kinder sind ein häufiges Opfer solcher Medienhypes. Man denkt, man sieht ihr Leid – das im Krieg zweifelsohne geschieht –, tatsächlich aber werden sie benutzt. Ein Feindbild soll gefestigt, die Akteure des Syrienkrieges in "Gut" und "Böse" aufgeteilt werden. Jeder erinnert sich an die kleine Bana Alabed aus Aleppo, die sich die Herzen der "freien Welt" ertwitterte.

Dass die Tweets von ihrer Mutter verfasst worden war, um Stimmung gegen die syrische Regierung und Russland zu erzeugen, wurde später zwar bekannt, aber kaum berichtet. Fotos des kleinen Omran aus Aleppo, den "Weißhelme" in einem Rettungswagen fotografierten, gingen um die Welt. Opfer eines Luftangriffs des "syrischen Regimes und Russlands", berichteten die Medien. Erst später wurde bekannt, dass der kleine Junge ohne Wissen und Genehmigung seiner Eltern in den Krankenwagen gesetzt und fotografiert worden war.

Propagandistischer Kinderkreuzzug

Die Medien sind geschult darin, Tatsachen und wichtige Zusammenhänge auszulassen, um eine Nachricht möglichst griffig und skandalisierend zu verbreiten. Was bleibt, ist das Bild leidender, angsterfüllter, verlassener Kinder in einem Krieg, für den das "Assad-Regime" und dessen Unterstützer verantwortlich sind. Das Bild des Jungen Raslan, dem vor laufender Kamera die Kehle von angeblich "moderaten Rebellen" durchgeschnitten wurde, war in deutschen Leitmedien nicht zu finden.

Auch Politiker bedienen sich einer ausgewählten Darstellung von Syrien und beeinflussen damit die Sichtweise auf das Land. Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte vor wenigen Tagen (2. Februar 2018) mit US-Präsident Donald Trump. Beide stimmten darin überein, dass "das syrische Regime und dessen russische und iranische Verbündete zu einer umgehenden und vollständigen Umsetzung der Resolution 2401 (2018) des UN-Sicherheitsrates aufgerufen" seien, teilte Regierungssprecher Seibert in einer Presseerklärung mit.

Die Resolution fordert alle militärischen Akteure in Syrien zu einer 30-tägigen Waffenruhe auf. Doch Merkel und Trump konzentrierten sich lediglich auf zwei von Dutzenden Akteure im Syrienkrieg, auf Russland und auf das "Assad-Regime". Russland müsse "seine Beteiligung an der Bombardierung Ost-Ghutas" beenden und das "Assad-Regime zu einem Stopp der Offensivoperationen gegen zivile Gebiete" bewegen. Das "syrische Regime" müsse "zur Rechenschaft gezogen werden", so die Regierungsmitteilung. Das gelte "sowohl für den Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime als auch für dessen Angriffe gegen Zivilisten und die Blockade humanitärer Unterstützung."

Die Meldung, dass der französische Präsident Emmanuel Macron Syrien mit Luftangriffen droht, sollte dort Giftgas eingesetzt werden, findet weite Verbreitung. Dass sowohl Macron als auch US-Verteidigungsminister James Mattis eingeräumt haben, dass Beweise für einen Giftgaseinsatz der syrischen Regierungstruppen nicht vorliegen, wird kaum gemeldet. In der deutschen Öffentlichkeit ist die Meinung, dass das "Assad-Regime" Giftgas einsetzt, weit verbreitet, obwohl zwischen 2013 und 2016 sämtliche Chemiewaffenbestände Syriens unter internationaler Kontrolle abtransportiert und vernichtet worden war.

Umsturz statt Reform

Anstatt auf diese sehr positive Tatsache zu verweisen, wiederholen Medien unbestätigte Gerüchte von "moderaten Rebellen", die seit 2011 ein Eingreifen der NATO, ein militärisches Eingreifen "wie in Libyen"(2011) fordern. Auch oppositionelle Gruppen aus Syrien stellen den Konflikt einseitig dar und erhalten viel Raum in hiesigen Medien. Vertreter der "Nationalen Koalition der oppositionellen und revolutionären Kräfte in Syrien" haben seit 2011 "Waffen, Waffen, Waffen" für die Opposition in deutschen Medien gefordert. Andere Oppositionelle, die für einen Dialog mit der syrischen Regierung eintreten, finden kein Gehör.

Seit Beginn der türkischen Offensive auf die nordwestsyrische Region um die Kleinstadt Afrin (Provinz Aleppo) schaffen es auch die syrischen Kurden in die Schlagzeilen. Eine Demonstration "Frieden für Afrin" Anfang März in Berlin brachte nach kurdischen Angaben 20.000 Menschen auf die Straßen, darunter auch Vertreter von Gewerkschaften, der Friedensbewegung und Parteien. So richtig die Kritik an dem Krieg der Türkei gegen die Kurden (nicht nur) im Norden Syriens ist, so einseitig bleibt sie. Krieg wird nicht nur gegen die Kurden in Afrin, sondern seit sieben Jahren in und gegen ganz Syrien geführt.

Die Darstellung der Lage in Syrien ist von Interessen geprägt. Das verhindert Aufklärung und vermittelt in der Öffentlichkeit lediglich Teileinsichten in den komplexen Syrien-Krieg, in den innersyrische, regionale und internationale Akteure verwickelt sind. Die Bundesregierung prangert Russland, Iran und die syrische Regierung an, weil Deutschland im Bündnis mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien, Saudi-Arabien und Israel Wege zu einer möglichen Aufteilung Syriens erörtert.

Die in Deutschland unterstützte syrische Opposition verbreitet Meldungen, die ihr Anliegen - den Sturz der syrischen Regierung - fördern. Die kurdischen Verbände und Organisationen um die syrische Partei der demokratischen Union (PYD) prangern die Türkei und ihre Verbündeten an und stellen ihr Projekt einer nordsyrischen Föderation unter Selbstverwaltung als einzige Alternative dar. Dass in ihrem Einflussgebiet im Nordosten Syriens mittlerweile 20 US-amerikanische Militärbasen und Flughäfen gebaut wurden, kommt in ihrer Darstellung nicht vor.

Schwarz-Weiß-Bild wird komplexer Realität nicht gerecht

Aufgabe der Medien wäre es, alle Seiten zu Wort kommen lassen, damit die Öffentlichkeit ein möglichst reales Bild der Lage in Syrien erhält. Ansätze für Versöhnung, für Frieden, Waffenstillstände, staatliche Amnestie, Vorschläge für politische Veränderungen kommen aber in den großen Medien kaum vor. Und wenn darüber berichtet wird, wie über die "Konferenz für den nationalen Dialog" in Sotschi oder die Genfer Syriengespräche, geschieht es mit Häme, Zweifel, Skepsis. Jeder Dialog- und Verständigungsversuch in Syrien wurde niedergeschrieben oder –berichtet, noch bevor die Gesprächspartner überhaupt eingetroffen waren.

Für mögliches oder tatsächliches Scheitern werden Russland, Türkei und Iran verantwortlich gemacht, die Garantiemächte für Deeskalationsgebiete und Waffenstillstände in Syrien. Deren Politik wird nicht in ihren konfliktlösenden Ansätzen und Initiativen dargestellt, sondern als kriegstreibend. Russland, das das "Assad-Regime" bei den "Massakern an der eigenen Bevölkerung" unterstützt. Der Iran, der Israel bedroht und die Türkei, die deutsche Journalisten inhaftiert.   

Die interessensgeleitete Darstellung des Krieges in Syrien in deutschen Medien und in der Politik teilt ein in "Gut" und "Böse", in "Freund" und "Feind". Das fördert Feindbilder und entspricht einem Weltbild nach dem Motto: Entweder Ihr seid für uns oder Ihr seid gegen uns. Die Welt so zu polarisieren – ob medial, politisch oder militärisch – entspricht nicht der Realität. Nicht in Syrien und auch nicht anderswo.

 

Berlin in Angst: Deutsche Einwohner fühlen sich zunehmend unsicher

aktuellen Nachrichten

Das Sicherheitsempfinden der deutschen Berliner hat merklich nachgelassen. Fühlten sich letztes Jahr noch zwei Drittel der Deutschen in Berlin sicher, so sind es heute nur noch 56 Prozent. Der Prozentsatz derer, die sich sehr unsicher fühlen, stieg von 9 auf 16 Punkte.

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Während manche Berliner die Medienberichterstattung für das sinkende Sicherheitsgefühl verantwortlich machen, führen andere die wachsenden Ängste auf den gestiegenen Anteil von Migranten und Flüchtlingen zurück. 

Laut Arnold Mengelkoch, Integrationsbeauftragter für den Stadtteil Neukölln, würden Straftäter häufig schon nach wenigen Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt. Flüchtlinge würden sich daher nicht mehr vor einer Verhaftung fürchten. Mengelkoch rechnet mit einer neuen Welle der Gewalt. Kürzlich sprach der Berliner Innensenator Andreas Geisel gar von einem wachsenden "Hass auf Deutsche" unter Flüchtlingen.

Freitag

Rede zur Lage der Nation: Wie Putin den Westen wieder an den Verhandlungstisch bringen will

Russland

In seiner Rede vor der Föderalen Versammlung präsentierte der russische Präsident neue strategische Atom-Waffen. Für den größten Feind hält Wladimir Putin jedoch nicht die USA, sondern die wirtschaftliche Rückständigkeit des eigenen Landes.

von Ulrich Heyden, Moskau

Das hatte niemand erwartet. Am Donnerstagmittag stellte Wladimir Putin während seiner Rede vor der Föderalen Versammlung in der Manege, einem Veranstaltungssaal unweit des Kreml, mithilfe von Videos die neusten strategischen Waffen vor, welche Russland einsetzen will, sollte es angegriffen werden.

Seine Rede vor der Föderalen Versammlung, zu der Abgeordnete, Gouverneure, Minister und Vertreter der religiösen Gemeinschaften eingeladen werden, hält der Präsident einmal im Jahr. Sie hat programmatischen Charakter. An der Rede wird monatelang gefeilt. Zahlreiche Spitzenbeamte haben mit Informationen und Zahlen ihren Beitrag zu der Rede geleistet.

Jetzt, zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl, bei der Wladimir Putin mit großer Wahrscheinlichkeit wiedergewählt wird, hat die Rede eine mobilisierende Wirkung, damit die Menschen an die Wahlurnen kommen.

Der Auftritt des russischen Präsidenten dauerte zwei Stunden. In den ersten 75 Minuten sprach der Kreml-Chef über Erfolge und Aufgaben im zivilen Bereich, über die Notwendigkeit von Durchbrüchen im technologischen Bereich und der Digitalisierung, über die Verbesserung der medizinischen Versorgung, die verstärkte Hilfe für ältere Menschen, die Unterstützung von Kleinbauern und die Verstärkung des Straßenbaus.

In der zweiten Hälfte seiner Rede - die 45 Minuten dauerte - sprach der russische Präsident ausschließlich über die nationale Verteidigung. Mithilfe von Videos stellte er sechs neue Waffen vor, unter anderem die 200 Tonnen schwere Atomrakete "Sarmat"; neue Lenkwaffen und Unterwasserdrohnen, die mit Nuklearantrieb eine fast unbegrenzte Reichweite haben; eine neue Laserkanone und die Rakete Kinschal (Säbel), die mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit fliegt und eine Reichweite von 2.000 Kilometern aufweist. Diese Rakete, die von einem Flugzeug in die Luft getragen wird und dort startet, habe man bereits in Südrussland stationiert.

Für alle diese Waffen sei die US-amerikanische Raketenabwehr kein Hindernis. Die neuen russischen Waffen seien extrem manövrierfähig. Nahansichten der Waffen könne man aus Sicherheitsgründen nicht zeigen, erklärte der Kreml-Chef. Für die neuen global einsetzbaren Lenkwaffen und Torpedos gäbe es noch keine Namen. Vorschläge könnten Interessierte aber beim Verteidigungsministerium einreichen.

Diese Waffen sind "fantastisch"

Die Ausführlichkeit, mit der Putin die neuen Waffen vorstellte, war ungewöhnlich. Bemerkenswert war auch der lockere Ton, den der Präsident anschlug. Diese Waffen seien "fantastisch", sie würden die amerikanische Raketenabwehr einfach umfliegen. Und sollte die Amerikaner irgendwann ein Gegenmittel entwickeln, dann hätten sich "unsere Leute" schon längst eine neue Waffe ausgedacht.

Der russische Präsident spricht gewöhnlich zu Wirtschaftsfragen und zu Fragen der internationalen Politik. Dass Wladimir Putin aber mit Stolz die neusten Entwicklungen todbringender Waffen vorstellt und faktisch in der Rolle eines Oberkommandierenden auftritt, ist etwas Neues und unterstreicht, dass Russland sich in die Enge getrieben fühlt und jetzt mit dem stärksten Gegenmittel droht.

Die Versammlung applaudierte mehrmals spontan. Einmal standen die Gouverneure und Abgeordneten auch auf und klatschten im Stehen. In der Live-Übertragung des russischen Fernsehens wurden immer wieder auch Gesichter einzelner Teilnehmer gezeigt. Bei einigen Teilnehmern sah man während der Waffen-Präsentation ein zufriedenes Lächeln, bei vielen anderen aber auch so etwas wie Angst. Sicher war das keine Angst vor Putin, sondern Angst vor einem großen Krieg, der immer näher zu rücken scheint.

Dass es in der Bevölkerung Kritik an den neuen Waffen und den damit verbundenen Ausgaben gibt, ist unwahrscheinlich. Bis auf die russischen Liberalen, die derartige Anschaffungen als übertrieben kritisieren, werden alle politische Kräfte die neuen Waffen begrüßen, denn sie sichern Russlands Souveränität.

In einer Talk-Show des Ersten Kanal betonten mehrere der eingeladenen Experten, dass sich die Erfolge bei der Entwicklung neuer Waffen und die damit verbundenen technologischen Durchbrüche auch positiv auf den zivilen Sektor auswirken werden.

Die Demonstration der neuen Waffen zeigt ganz eindrücklich, dass Russland sich zur Friedenssicherung nicht mehr nur auf das Geschick von Diplomaten verlässt, sondern mehr und mehr auch sein militärisches Gewicht in die Waagschale wirft.

Die Entwicklung neuer Waffen sei nötig geworden, weil die USA 2002 aus dem Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehr ausgestiegen sind und versuchten, die russischen strategischen Raketen komplett abzufangen, Russland also die Verteidigung zu nehmen, sagte der Kreml-Chef. Die USA arbeiteten bereits seit vielen Jahren mit großer Intensität an einem Raketen-Abwehrschirm, der bereits in Rumänien steht, sich in Polen im Aufbau befindet und der außerdem in Japan, Südkorea und auf 30 Schiffen stationiert werden soll.

Für die russische und die internationale Öffentlichkeit war die Ankündigung von Wladimir Putin eine Überraschung. Die Arbeiten an den neuen Waffen waren bisher geheim gehalten worden. Aber angesichts eines massiven NATO-Truppenaufmarsches an der russischen Westgrenze, angesichts der Tatsache, dass die USA die Souveränität von Syrien und anderer Staaten in den letzten Jahren immer wieder missachtet haben, sieht Russland sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen.

Wladimir Putin erklärte, dass jeder atomare Angriff auf Russland oder seine Verbündeten sofort beantwortet wird. Präventivschläge sind in der russischen Militärdoktrin aber nicht vorgesehen.

Kann man Wladimir Putin vorwerfen, dass er leichtfertig mit den neuen Waffen droht? Nein, denn der russische Präsident hat den Westen mehrmals vorgewarnt, was passiert, wenn dieser versucht, Russland militärisch zur Verteidigung unfähig zu machen.

In seiner gestrigen Rede erklärte der russische Präsident, er habe die USA 2004 gewarnt. Wenn der Westen aufrüste, werde auch Russland neue Waffen entwickeln. Die jetzt entwickelten Waffen habe der Westen nicht. Putin beendete seine Ausführung zu den neuen Waffen mit den Worten:

Wir wollten unsere Partner zu Verhandlungen bewegen, aber niemand will mit uns reden und uns zuhören. Hören sie uns jetzt zu!

 Die Versammelten erhoben sich erneut und applaudierten.

"Rückständigkeit in der Entwicklung ist unser größter Feind"

Putin hatte seine Rede mit einer Darstellung der sozialen und wirtschaftlichen Situation im Land begonnen. Viele Russen müssen angesichts der Sanktionen und des gesunkenen Ölpreises Lohneinbußen und sogar Entlassungen hinnehmen. Das Wachstum liegt bei einem Prozent. Und es ist nicht erkennbar, dass sich die wirtschaftliche Situation bald ändert.

Der russische Präsident machte keinen Bogen um die sozialen Probleme. Er erklärte, man habe zwar Stabilität in Russland erreicht, aber man dürfe sich mit der Stabilität nicht begnügen, "insbesondere, weil viele Probleme noch lange nicht gelöst sind". Russland sei zwar

eine führende Macht mit einem starken Außenhandels- und Militärpotenzial. Aber wenn es um die Lebensqualität und den Wohlstand der Menschen geht, haben wir noch nicht unser nötiges Niveau erreicht.

Der größte Feind Russlands sei nicht, "dass jemand kommt, unseren Boden nimmt und ihn zerstört". Die Rückständigkeit "ist die größte Bedrohung und das ist unser Feind". Sie sei wie "eine schwere Krankheit, die müde macht und den Organismus Schritt für Schritt von innen zerstört".

Viel hänge jetzt davon ab, ob Russland sein inneres Potenzial voll zur Entfaltung bringen kann. Den größten messbaren wirtschaftlichen Erfolg gäbe es in der Landwirtschaft. Putin erklärte, Russland habe im letzten Jahr mit einer Getreideproduktion von 130 Millionen Tonnen den sowjetischen Rekord von 127 Millionen gebrochen.

Auch im Wohnungsbau gäbe es eine positive Tendenz. Während von 1950 bis 1980 insgesamt 60 Millionen Quadratmeter an Wohnraum geschaffen worden wären, seien es heute 80 Millionen Quadratmeter. Große Pläne hat der Präsident auch beim Straßenbau. Die Mittel hierfür sollen für die nächsten sechs Jahre auf 159 Milliarden Euro fast verdoppelt werden. Die Flughäfen in den Regionen sollen rekonstruiert werden, so dass die Hälfte der regionalen Fluglinien dann direkt von Region zu Region fliegen kann und nicht den Umweg über Moskau machen muss.

Die Armut sei immer noch hoch, erklärte der Kreml-Chef. Während im Jahr 2000 noch 42 Millionen Menschen in Armut lebten, das heißt fast ein Drittel der Bevölkerung, sei die Zahl der Armen 2012 auf zehn Prozent gesunken. Doch jetzt sei die Zahl der Armen infolge der Wirtschaftskrise wieder auf 20 Millionen gestiegen. Das seien "unzulässig viele" Menschen. "Sogar einige Menschen die arbeiten, leben sehr bescheiden."

Die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung müssten verdoppelt werden. Das Ziel von Putin: Mehr als vier Prozent des Bruttoinlandprodukts sollen für die Gesundheit ausgegeben werden. Zum Vergleich: In Deutschland liegen die Ausgaben für Gesundheit bei 11,3 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

Kritik an übertriebener Optimierung im Gesundheitsbereich

Dann erlaubte sich der Präsident auch Kritik an der Regierung, ohne diese allerdings namentlich zu nennen. Der Gesundheitsbereich sei erfolgreich optimiert worden, allerdings habe man dabei teilweise "übertrieben". So seien Krankenhäuser in kleinen Städten und Dörfern geschlossen worden. Das sei "absolut nicht zulässig". "Das Wichtigste, die Menschen, hat man vergessen", sagte Putin. Wenn es in unmittelbarer Nähe von Wohnungen keine Ambulanz oder kein Geburtshaus gäbe, dann müsse man "diese wiederherstellen". Dieses Ziel hätte man "gleich an den Anfang des Umbaus" im Gesundheitswesen stellen müssen.

Immerhin, so der Präsident, sei die Lebenserwartung in Russland von 65 Jahren im Jahre 2000 auf jetzt 73 Jahre gestiegen. Das sei aber nicht genug. Russland wolle zu den Ländern gehören, in denen die Menschen über 80 Jahre alt werden.

Die 1990er Jahre, in denen in Russland eine neoliberale Schocktherapie wütete und sehr wenige Kinder geboren wurden, machen sich auch heute immer noch bemerkbar. Zwar ging die Zahl der Geburten - auch in Folge von materieller Unterstützung für die Mütter - in den letzten 15 Jahren nach oben, aber die Bevölkerung  im arbeitsfähigen Alter sei 2017 um eine Million Menschen gesunken, erklärte der Präsident. Diese Tendenz werde anhalten und zu einer "ernsten Beschränkung des ökonomischen Wachstums führen". Damit die Mütter schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren können und ihre Qualifikation nicht verlieren, werde man 270.000 Kindergartenplätze schaffen.

Friedensbewegung könnte Rüstungsspirale stoppen

Die Rede vor der Föderalen Versammlung fiel diesmal dramatisch aus auf Grund der Vorstellung der neuen Waffen. Viele liberale Russen werden befürchten, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Land durch erhöhte Rüstungsausgaben gebremst wird. Doch die Mehrheit der Bevölkerung wird wohl verstehen, dass es zu den neuen Waffen keine Alternative gibt.

Sollte in westlichen Ländern eine mächtige Friedensbewegung entstehen, welche die Bedrohungspolitik gegenüber Russland kritisiert und die westlichen Regierungen an den Verhandlungstisch zwingt, könnte das die Rüstungsspirale stoppen. 

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"Das Ende der Zivilisation": Moskau warnt nach neuer US-Doktrin vor Atomkrieg in Europa

Europa

Moskau wirft den USA vor, die europäischen Verbündeten auf einen Atomwaffeneinsatz gegen Russland vorzubereiten, und warnt mit eindringlichen Worten vor den Folgen eines Atomkriegs. Indes präsentierte Wladimir Putin am Donnerstag die neuesten russischen Waffen.

Auf der Genfer Abrüstungskonferenz warnte Sergej Lawrow am Mittwoch eindringlich vor den Gefahren eines Atomkriegs auf europäischem Boden. Die Aussagen des russischen Außenministers erfolgten vor dem Hintergrund der neuen Nukleardoktrin der USA, die vor einem Monat veröffentlicht wurde.

Darin wurden die Kriterien für einen atomaren Erstschlag ausgeweitet sowie der Einsatz "taktischer Atomwaffen" (auch "Mini-Nukes" genannt) in Erwägung gezogen. Mitte Januar war bereits der Entwurf der neuen Richtlinien an die Öffentlichkeit gelangt. Sicherheitsexperten äußerten daraufhin Bedenken, dass die USA künftig möglicherweise auch infolge von Cyberangriffen Atomwaffen einsetzen könnten.

Die Nukleardoktrin umfasst auch eine Modernisierung der in Europa stationierten US-Atomwaffen, darunter die etwa 20 Bomben, die auf dem Bundeswehrstützpunkt im rheinland-pfälzischen Büchel gelagert sein sollen. Diese würden "erheblich zur Abschreckung potenzieller Gegner und zur Sicherheit der Alliierten beitragen", heißt es aus Washington. Diese Sicht teilt auch Berlin.

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In einer vergangene Woche von der Linkspartei angeregten Bundestagsdebatte über Atomwaffen machte deren stellvertretender Vorsitzender Tobias Pflüger darauf aufmerksam, dass der Koalitionsvertrag der GroKo zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik "explizit ein Bekenntnis zur atomaren Komponente der NATO" enthält. Regierungsvertreter rechtfertigten das auch mit Verweis auf die vermeintliche russische Bedrohung.  

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Lawrow: USA bereitet Europa auf Atomwaffeneinsatz gegen Russland vor

Bei seiner Rede in Genf stellte Lawrow zunächst fest, dass Russland weder taktische Atomwaffen besitze noch an deren Entwicklung arbeite. Zudem seien sämtliche russische Atomwaffen ausschließlich auf russischem Boden stationiert.

"Am 5. Februar bestätigten wir, dass wir das Maximum an Trägerraketen und Sprengköpfen innerhalb des Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen erreicht haben", so Lawrow. Das auch als "New START Treaty" bezeichnete Abkommen zwischen Russland und den USA wurde im April 2010 unterzeichnet. Es sieht eine Reduzierung der Anzahl der "strategischen" Atomsprengköpfe von 2.200 auf jeweils 1.550 und die Anzahl der Trägersysteme von 1.600 auf 800 bis zum 5. Februar 2018 vor.

Der russische Außenminister wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Russlands Atomwaffenarsenal im Vergleich zum Höchststand des Kalten Krieges um 85 Prozent reduziert wurde.

Die von den USA entwickelten "taktischen" Atomwaffen fallen jedoch nicht unter das Abkommen. Deren Anwesenheit auf europäischem Boden sei nicht lediglich ein "Rudiment des Kalten Krieges", sondern stelle "eindeutig eine aggressive Position" dar, so Lawrow. Lawrow sprach von einem "ernsthaften Bruch" des Atomwaffensperrvertrags durch die Vereinigten Staaten. Der Minister erklärte zudem:

Es sollte jedem klar sein, dass das US-Militär die Streitkräfte der europäischen Länder auf den Einsatz taktischer Atomwaffen gegen die Russische Föderation vorbereitet.

Der Minister äußerte seine Hoffnung, dass sich "die europäischen Bürger" einer "Stationierung von Massenvernichtungswaffen auf ihrem Territorium durch den einzigen Staat der Welt widersetzen, der diese bereits in Hiroshima und Nagasaki gegen eine Zivilbevölkerung eingesetzt hat". 

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Russischer Generalleutnant: "Wir sind auf alles vorbereitet"

Der russische Generalleutnant Jewgeni Buschinski griff Lawrows Worte auf. Die Präsenz taktischer US-Atomwaffen in Europa sei eine große Hürde auf dem Weg zur Abrüstung. "Niemand kann genau sagen, wie ernsthaft die Bedrohung ist", so Buschinski am Donnerstag gegenüber RT. Doch die Militärs beider Seiten machten sich bereit:

Das russische Militär bereitet sich vor; und das amerikanische Militär tut dasselbe. Es ist Aufgabe der Politiker, die Öffentlichkeit vor diesen Vorbereitungen zu warnen.

Sollte Russland mit einer Atomwaffe angegriffen werden, werde es einen Gegenschlag durchführen, so Buschinski, der das PIR-Center (Zentrum für politische Studien) in Moskau leitet, das sich der internationalen Außen- und Militärpolitik widmet. Er schilderte die fatalen Konsequenzen, die sich daraus für die Menschheit ergeben würden: 

Sollten die strategischen Kräfte Russlands und der USA in Aktion treten, würden Hunderte Megatonnen nuklearer Munition das Territorium der USA und Russlands treffen. Wir befinden uns auf der eurasischen Platte, was uns (Russland) einen leichten tektonischen Vorteil verschafft. Der nordamerikanische Kontinent würde sicherlich aufbrechen. Es wäre das Ende der Zivilisation. Daran kann es keinen Zweifel geben.

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Buschinski versicherte, Russland werde sich von einem US-Atomwaffenangriff nicht überraschen lassen. "Die Armee ist auf alles vorbereitet. Präsident Putin hat bei zahlreichen Gelegenheiten darüber gesprochen, und alle sind sich dessen bewusst."

In seiner Rede zur Lage der Nation hat Wladimir Putin am Donnerstag neue Waffensysteme präsentiert, darunter die Hyperschall-Interkontinentalrakete "Sarmat". Sie stelle einen "Durchbruch" für das russische Raketenprogramm dar und sei in Reaktion auf die zunehmend aggressive US-Politik entwickelt worden, so Putin.

Donnerstag

"Ukrainische Ordnung": Nationale Druschina als weiterer Schritt in ein Disneyland für Braunhemden

aktuellen Nachrichten

Einheiten ukrainischer Nationalisten, die das ganze Land herausgefordert haben, sind im Begriff, die "ukrainische Ordnung" flächendeckend im Land zu etablieren. Viele vergleichen die Extremisten mit Röhms SA. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied.

von Nyura N. Berg

Ende Januar marschierte eine Formation radikaler ukrainischer Nationalisten durch Kiew. Es waren etwa 600 Menschen. In Uniform gekleidet und mit Masken übers halbe Gesicht hinterließen die jungen Leute einen unheilvollen Eindruck. Nachdem die Aktivisten den Bürgern ihre Entschlossenheit gezeigt hatten, stellten sie sich in Reih und Glied auf und legten ihren Eid ab, dessen Wortlaut ihnen feierlich von einer improvisierten Tribüne aus in gebrochenem Ukrainisch vorgelesen wurde.  

Auf diese Weise gründete die rechtsextreme Partei "Nationales Korps" die "Nationale Druschina" (Kampfeinheit) und verkündete, dass die frischgebackenen Verteidiger der Ukraine angesichts der Umtriebe von Separatisten und Kreml-Agenten eine "ukrainische Ordnung" im Land etablieren würden. Geplant seien Patrouillen auf den Straßen der Städte, um Feinde der ukrainischen Nation aufzuspüren. Auf diese Weise entzogen sie der Legende, die Nazis in der Ukraine seien von russischen Propaganda-Medien erfunden worden, endgültig den Boden…

Sobald das Wort "Ordnung" mit einem ethnischen Begriff verbunden wird, kriegen die Bürger Gänsehaut - das genetische Gedächtnis lässt erahnen, dass dies zu nichts Gutem führen wird. Und nun diskutiert die ganze Ukraine besorgt und voll dunkler Vorahnungen über das Gesehene und das Gehörte. 

Maske, ich kenne dich

Dabei ist in Kiew nichts sonderlich Neues passiert. Und die Gestalten in den Formationen sind allen längst bekannt - das ist der radikalste Flügel des Freiwilligenbataillons "Asow". Die Nachrichten darüber, wie sie friedliche Bürger schikanieren und die Zone der so genannten Anti-Terror-Operation im Donbass ausplündern, haben sogar die USA erreicht. Das nutzten die US-Amerikaner als offizielle Begründung, keine tödlichen Waffen in die Ukraine zu liefern. Doch Anfang Januar dieses Jahres stellte sich heraus, dass "Asow" sie trotzdem bekommen hatte…

Alles - vom Inhalt ihrer Reden bis hin zur Ästhetik der Nationalen Druschina - erinnerte gebildete Bürger lebhaft daran, wem diese jungen Extremisten ähneln, nämlich den SA-Männern von Ernst Röhm. Dieselbe Entschlossenheit, gegen Feinde zu kämpfen. Dasselbe Bestreben, Feinde nach ihrer eigenen Auffassung zu bestimmen. Dieselbe Bereitschaft, zu radikalsten Maßnahmen zu greifen.

Die Ideologen der Bewegung erklären öffentlich:

Wenn die Polizei nach unserer Einschätzung nicht ordentlich genug gegen die Feinde kämpft, werden wir handeln, ohne auf sie zu achten.

Eigentlich gibt es jetzt bereits schockierende Videobeweise dafür, dass die Kämpfer nicht nur die Polizei missachten, sondern auch Polizisten angreifen, sich mit ihnen prügeln, ihre Anweisungen ignorieren und sie demonstrativ in Wort und Tat demütigen.

Der prominente ukrainische Politologe Konstantin Bondarenko bezeichnet diese Situation unmittelbar als eine "ukrainische Nachbildung der Weimarer Republik" und ist davon überzeugt, dass auch diese sich "nach dem bekannten Szenario, einschließlich der so genannten Nacht der langen Messer" entwickeln werde.

Der renommierte ukrainische Politikberater Dmitri Dschangirow deutet dennoch auf einige prinzipielle Unterschiede zwischen Röhms SA-Männern und den Mitgliedern der Nationalen Druschina hin:

Die ukrainische Sturmabteilung sei in der Tat eine private Armee, die sich hinter politischen Parolen verschanzt, um zu rauben und sich an feindlichen Übernahmen zu beteiligen, und die in wirtschaftlichen Auseinandersetzungen mit Gewalt vorgeht, um die Interessen einer der beteiligten Seiten zu verteidigen.

Maidan als Turbo-Booster für neonazistische Landsknechte

Radikale nationalistische Organisationen gibt es in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit. Fast zugleich wurde in ihnen eine Kampfabteilung gebildet, deren Mitglieder an regelmäßigen Trainings in speziellen Lagern teilnahmen - oft unter Aufsicht ausländischer Militärausbilder.

Hin und wieder marschierten Mitglieder dieser Gruppen mit Fackeln durch die Straßen der ukrainischen Städte, wobei sie menschenfeindliche Parolen ausriefen und die Ästhetik der bekannten Nazi-Formationen der Vergangenheit teils unverhohlen kopierten. Schon damals wurden die jungen Leute auch bei Machtproben zwischen Unternehmern eingesetzt und bereicherten sich selbst daran. Als ideologische Basis für die Extremisten diente die Partei "Swoboda", die für antisemitische und russophobe Ideen wirbt und den Kampf für die Reinheit des Blutes proklamiert.

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Der Maidan 2013 bescherte den Extremisten ein neues reiches Leben. Genau während und nach der so genannten Revolution der Würde kam es zu einem quantitativen und qualitativen Sprung in den Reihen der Rechtsradikalen. Angriffe auf Gerichte, Gewaltakte gegen oppositionelle Journalisten, erfolgreiche Versuche, Kommunalbehörden zu kontrollieren und einzuschüchtern - doch der eigentliche Clou ist, jedem, dessen Geschäft oder Posten die Aufmerksamkeit der Radikalen weckt, Separatismus und Illoyalität vorzuwerfen.

Genau der Maidan gab den Extremisten das Recht, dem Staat sein Gewaltmonopol wegzunehmen und nicht nur die Funktionen der Polizei zu usurpieren, sondern diese auch nachdrücklich an den Straßenrand zu drängen.

Wer sind die Geldgeber?

Fragen der Finanzierung von rechtsextremen Gruppierungen lösen immer eine Reihe von Interpretationen und Vermutungen aus. Analytiker, recherchierende Journalisten, sogar Abgeordnete des Parlaments geben ihre Kommentare ausschließlich unter der Bedingung der Anonymität ab. Gleich zwei Quellen - aus dem Parlament und aus Kreisen regierungsnaher Politologen - nannten den ukrainischen Ex-Justizminister Roman Swarytsch als ideologischen Kurator der Nationalen Druschina. Als ehemaliger US-Bürger hatte dieser nach einem Skandal um gefälschte Diplome und dem Rücktritt von Wiktor Juschtschenko von der politischen Bühne seinen Posten und kehrte zurück in die Heimat.

Laut Angaben der Quellen soll Swarytsch ebenso zwischen gewissen nationalistischen Strukturen der ukrainischen Diaspora, den Geldgebern, auf der einen Seite und Leitern der radikalen militarisierten Vereinigungen auf der anderen vermitteln. Als Vermittlerin wird auch die Ex-Finanzministerin der Ukraine, Natalija Jaresko, erwähnt.

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Die Anführer der Druschinas machen keinen Hehl daraus, dass auch ukrainische Oligarchen sich an ihrer Finanzierung beteiligen, die nicht nur ihre eigenen Privatarmeen versorgen, um sie bei Bedarf in wirtschaftlichen Auseinandersetzungen einsetzen. Sie leisten auch großen radikalen Vereinigungen finanzielle Unterstützung, hinter denen laut Experten der Sicherheitsdienst der Ukraine und das Innenministerium stehen sollen.

Tja, und die Soldaten der Druschinas erwirtschaften ihr Geld da, wo sie gerade können - durch Erpressung, Raub und Schutzgeldeintreibung.

Wer profitiert von den Umtrieben?

Eine überwiegende Zahl der Experten sind davon überzeugt, dass die Nationale Druschina eine Schöpfung des Innenministers Awakow ist.

Der Politologe Konstantin Bondarenko erklärt dazu:

Arsen Awakow, der im akuten Konflikt mit dem Präsidenten Poroschenko steht, braucht den Führer der Radikalen, Andrij Bilezkyj. Der Minister demonstriert, dass er abgesehen von der Polizei über zusätzliche Ressourcen verfügt, die er bei Bedarf mobilisieren kann. […] Obwohl Awakow offiziell für eine Nichtbeteiligung an der Sturmabteilung plädiert, ist es allen klar: Der Minister flunkert. Er hätte genügend Ressourcen, um gesetzwidrige Aktionen zu unterbinden, doch er wäscht seine Hände demonstrativ in Unschuld.

Tatsächlich behauptete Arsen Awakow umgehend nach dem jüngsten Großaufmarsch, dass er keine paramilitärischen Freibeuter zulassen werde, dass die Mitglieder dieser Organisationen für ihre Eigenmächtigkeit zur Verantwortung gezogen würden. Doch bereits unmittelbar nach den Ansagen aus der Exekutive nahmen die Mitglieder des "Nationalen Korps" in Uniform und Masken den Raum ein, in dem der Stadtrat von Tscherkassy tagte, und erklärten, dass sie alle Entscheidungen kontrollieren werden, die die Abgeordneten treffen. Die eingeschüchterten Abgeordneten verabschiedeten unter dem Druck der Extremisten nicht nur das Budget, sondern stimmten auch über die Selbstauflösung ihres Gremiums ab. Gegenüber den Gesetzesbrechern kamen keinerlei Sanktionen zur Anwendung. 

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Hingegen hält der Politikberater Dmitri Dschangirow eine Beteiligung des Ministers Awakow an der Gründung und Tätigkeit der Nationalen Druschina für unwahrscheinlich:

Ich glaube, dass der Leiter des Nationalen Korps, Andrij Bilezkyj, sich als unabhängiges Subjekt der ukrainischen Politik etablieren und zum selbstständigen Einflusszentrum werden will. Und er hat Awakows Hilfe nicht nötig.

Die Präsidentschaftswahlen stehen bevor, zu denen Bilezkyj möglicherweise kandidieren wird. Das Vorhandensein einer eigenen paramilitärischen Struktur, die frech und öffentlich gegen das Gesetz und die Ordnung verstößt, ist jedenfalls ein äußerst bequemes Instrument. Mittels der Sturmabteilung kann man Wahllokale einnehmen, Bürger unter Druck setzen, indem man diese oder jene Abstimmung von ihnen fordert, Mitglieder der Wahlkommissionen einschüchtern und Wahlergebnisse verfälschen. Man kann den amtierenden Präsidenten erpressen und seinen Einfluss schwächen. Schließlich kann man eine parate militarisierte Struktur an Interessenten verkaufen.

Die Brigademitglieder ziehen daraus selbstverständlich auch ihre eigenen Profite. Sie wollen weder arbeiten noch studieren, und die Beteiligung an paramilitärischen Organisationen sichert ihnen ein garantiertes Einkommen, Selbstbewusstsein und soziale Abläufe, die nirgendwo sonst in der Ukraine funktionieren.

Die Apathie der regulären Ordnungsmacht im Ideologiestaat

Das erwähnte Video des Zusammenstoßes der ukrainischen Tontons Macoutes mit der Polizei zeigt deutlich die Hilflosigkeit der Polizeibeamten. Man greift sie im Rudel an und wirft sie zu Boden, doch die Polizisten leisten keinen richtigen Widerstand. Der Grund ist einfach - einerseits ist die Polizei unerfahren und schlecht ausgebildet, denn im Laufe der Reformen wurde ein wesentlicher Teil des Personalbestandes entlassen, wohingegen junge Männer und Frauen beinahe von der Straße in den Dienst geholt wurden.

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Andererseits sind die Polizisten demoralisiert. Sie erinnern sich daran, wie ihre Kollegen am Maidan unter dem Beifall der Putschisten und der westlichen Wertegemeinschaft geschlagen und getötet wurden. Sie wissen, dass Kämpfer der Spezialeinheit Berkut immer noch im Gefängnis sitzen oder auf der Flucht sind. Sie sehen die Straflosigkeit der so genannten Freiwilligen und sind sich sicher, dass im Fall einer ernsten Auseinandersetzung eben sie selbst bestraft werden. Deswegen machen die Polizeibeamten lieber gar nichts, als später des mangelnden Patriotismus und der Begünstigung der Separatisten bezichtigt zu werden. Die Jungs verstehen, dass alle "heftigen" Aussagen von etablierten Politikern über die Einhaltung der Ordnung und das Gewaltmonopol des Staates nur Ritualtänze zur Beruhigung der erregten Öffentlichkeit sind.#

Ein Versuch, die weitere Entwicklung zu erahnen

Und die Öffentlichkeit ist ernsthaft erregt. Bemerkenswert ist, dass sogar die Liberalen verärgert sind, die auf dem Maidan mit den Radikalen eng kooperiert haben mit dem gemeinsamen Ziel, die alte Regierung zu stürzen. Und nun entwickelt sich die Situation in eine für sie unerwartete, obwohl auch völlig logische Richtung.

Wir wenden unverzüglich Gewalt an, um eine Ordnung zu etablieren, die Wohlstand in jede ukrainische Familie bringen wird", heißt es in einem Facebook-Beitrag der Nationalen Druschina.

Und das macht Eindruck. Auch der einfache Bürger macht sich Sorgen. Vom Gedanken, dass jedem Menschen jederzeit Illoyalität, Separatismus, Begünstigung russischer Okkupanten oder Spionage im Auftrag der russischen Welt vorgeworfen werden kann, fühlt man sich nicht mehr geborgen. Viele Experten und Analytiker sind überzeugt, dass es zu einer waschechten Nazi-Diktatur kommen wird. Und dass es unmöglich ist, die Kämpfer für die ukrainische Ordnung, die von Tag zu Tag immer frecher werden, mit demokratischen Mitteln in den Griff zu bekommen. Am Ende würde es lediglich entweder eine Form Militärjunta oder ein Alleinherrscher schaffen, sie zu stürzen.

Wobei viele einfach nochmal aufmerksam die Geschichte der Weimarer Republik studieren…

Mindestlohn: Deutschland hinkt im Vergleich mit meisten westeuropäischen Ländern hinterher

aktuellen Nachrichten

Während in EU-Ländern die Mindestlöhne steigen, trifft dies nicht auf Deutschland zu. Die Ergebnisse einer neuen Studie zeigen, dass die gesetzliche Lohnuntergrenze hierzulande sogar hinter dem Niveau der meisten westeuropäischen Länder zurückbleibt.

Rund 1,8 Millionen Beschäftigte arbeiteten in der Bundesrepublik Deutschland 2016 für Stundensätze in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.

In Deutschland liegt der gesetzliche Mindestlohn derzeit bei 8,84 Euro pro Stunde. Laut einer Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bleibt die Bundesrepublik damit hinter dem Niveau der meisten westeuropäischen Länder zurück. In Belgien müssten etwa mindestens 9,47 Euro pro Stunde an Lohn gezahlt werden, in Irland seien es 9,55 Euro, in den Niederlanden 9,68 Euro und in Frankreich 9,88 Euro. Den höchsten Mindestlohn habe Luxemburg mit 11,55 Euro, teilten die Forscher des WSI am Mittwoch mit.

Europas größte Volkswirtschaft bei Mindestlöhnen europaweit nur Platz sechs  

Mit anderen Worten: Wenn es um die Höhe der Lohnuntergrenze geht, belegt Europas größte Volkswirtschaft im EU-Vergleich nur den sechsten Platz.

Während europäische Mindestlöhne insgesamt durch die Bank steigen, ist dies der Studie zufolge hierzulande nicht der Fall. In 22 der 28 EU-Staaten gibt es eine gesetzliche Lohnuntergrenze. In 19 davon seien die Mindestlöhne zum 1. Januar 2018 oder im Laufe des vergangenen Jahres erhöht worden – im Mittel nominal (also ohne Berücksichtigung der Inflation) um 4,4 Prozent. In Deutschland gilt der aktuelle Satz seit dem 1. Januar 2017. Die Bezieher hätten im Vorjahr wegen der Inflation sogar einen leichten Reallohnverlust erlitten.

Nur 47 Prozent des mittleren Einkommens von Vollzeitbeschäftigten

Gemessen am nationalen Lohnniveau sei der deutsche Mindestlohn laut Forschern "moderat". Die Angaben aus 2016, dem jüngsten Jahr, für das es internationale Vergleichsdaten gibt, zeigen, dass der deutsche Mindestlohn rund 47 Prozent des mittleren Einkommens von Vollzeitbeschäftigten in der Bundesrepublik entspricht. Nicht weniger als 13 EU-Länder kamen auf höhere Prozentanteile, darunter Portugal oder Polen. Nach Ansicht von Armutsforschern sollte aber ein Lohn, der zum Leben reicht, mindestens 60 Prozent des jeweiligen nationalen mittleren Einkommens ausmachen.

In Deutschland wird nur alle zwei Jahre der Satz angehoben. Mitte 2018 berät die Mindestlohnkommission über eine Erhöhung. "Bereits heute ist dabei absehbar, dass der deutsche Mindestlohn bei einem bloßen Nachvollzug der Tarifentwicklung nach wie vor deutlich unterhalb des Niveaus anderer westeuropäischer Staaten bleiben wird", schreiben die WSI-Forscher. Deshalb sollte "überlegt werden, ob die derzeit außerordentlich günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen nicht dafür genutzt werden können, um das niedrige deutsche Mindestlohnniveau über die normale Anpassung hinaus auch strukturell zu erhöhen."