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Merkel will Gesprächsfaden mit Türkei wieder aufnehmen

Berlin (dpa) - Nach dem Verfassungsreferendum in der Türkei ist die Debatte über einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara voll entbrannt. In Deutschland sprachen sich Spitzenpolitiker von Union, Linke und FDP dafür aus.

Auch der österreichische Außenminister Sebastian Kurz plädierte für einen solchen Schritt. Bundesregierung und EU-Kommission reagierten dagegen abwartend.

Am Sonntag hatten 51,4 Prozent der Türken für eine Verfassungsreform gestimmt, die Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht gibt. Der hart geführte Wahlkampf hatte das deutsch-türkische Verhältnis in eine tiefe Krise gestürzt. Erdogan hatte Deutschland Nazi-Methoden vorgeworfen, weil einzelne Wahlkampfauftritte türkischer Politiker aus Sicherheitsgründen untersagt wurden.

Die Bundesregierung will den Dialog mit Ankara nun so schnell wie möglich wieder aufnehmen. In einer ersten Reaktion forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel die türkische Regierung dazu auf, der Spaltung der türkischen Gesellschaft entgegenzuwirken. «Die Bundesregierung erwartet, dass die türkische Regierung nun nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht.»

Zu den EU-Beitrittsverhandlungen äußerten sich Merkel und Gabriel nicht. Auch die EU-Kommission schwieg dazu. Die Verfassungsänderungen «und insbesondere ihre praktische Umsetzung» sollten im Lichte der Verpflichtungen der Türkei als EU-Beitrittskandidat und als Mitglied des Europarats begutachtet werden, erklärten die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, der EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik, Johannes Hahn, und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker lediglich.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, plädierte dagegen klar für einen Abbruch der Verhandlungen. «Die Vollmitgliedschaft kann kein Ziel mehr sein», sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende im ZDF. Die Beitrittsperspektive für die Türkei sei eine «Lebenslüge», die vom Tisch genommen werden müsse.

Österreichs Außenminister Kurz dringt ebenfalls auf ein schnelles Ende der Verhandlungen. «Die Zeit des Taktierens muss endlich vorbei sein», sagte er der Nachrichtenagentur APA. Die CDU-Vizechefin Julia Klöckner äußerte sich ähnlich: «Die Tür zu einem EU-Beitritt ist nun endgültig zu - und finanzielle Heranführungshilfen an die EU sind spätestens jetzt hinfällig», sagte sie der «Huffington Post». Die Türkei hatte im Zuge des Beitrittsprozesses zwischen 2007 und 2013 4,8 Milliarden Euro von der EU erhalten. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind weitere 4,45 Milliarden Euro eingeplant.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen (CDU), plädierte in einem dpa-Interview dafür, die Verhandlungen lediglich auszusetzen. So könnten sie später gegebenenfalls wieder aufgenommen werden. Der EU-Rat müsse «ohne längeres Zögern» reagieren, sagte Röttgen.

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind seit langem umstritten. Die Europäische Union hatte sie 2005 aufgenommen, zuletzt aber keine neuen Kapitel mehr in Angriff genommen. Die Verhandlungen lagen also quasi auf Eis. Abbrechen wollte die EU sie bisher aber nicht, um der Türkei die Tür nicht endgültig zuzuschlagen. Die Wiedereinführung der Todesstrafe gilt allerdings als rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Erdogan kündigte nach seinem Sieg beim Referendum an, das Thema Todesstrafe wieder auf die Tagesordnung zu setzen.

Auch aus der Linken und der FDP kam die Forderung nach einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Linke und Grüne forderten auch Konsequenzen für die militärische Zusammenarbeit mit der Türkei: Die rund 260 auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten müssten abgezogen und alle Waffenlieferungen an den Nato-Partner gestoppt werden, forderten die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, Sahra Wagenknecht und Cem Özdemir. Statt eines «Merkel-Erdogan-Pakts» müsse es nun ein Bündnis Deutschlands mit den Demokraten in der Türkei geben, sagte Wagenknecht der dpa.

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